Tylers KneipeThe importance of being online.2011-06-09T11:23:46+02:00TDhttp://www.tylers-kneipe.de/index.phptyler@tylers-kneipe.detag:tylerskneipe,2011:tylerskneipePivotCopyright (c) 2011, Authors of Tylers KneipeFrank Turners »Love, ire and song«2011-06-09T11:23:00+02:002011-06-09T11:23:00+02:00tag:tylerskneipe,2011:tylerskneipe.318Bis ich mir Frank Turners neues Album schön gehört habe, verliere ich mal ein paar Worte über mein Frank Turner-Lieblingsalbum, Love, ire and song von 2008.
Das ist wirklich eine Perle des modernen Songwritertums. Ich kann nicht mit allen seinen Alben so viel anfangen, aber das hier wird mich sicher noch lange begleiten. Es ist eines der Alben, die ich ohne einmal zu skippen durchhören kann und ich freu mich noch beim hundertsten Mal immer wieder auf jedes nächste Lied, so gut sind sie alle
Er beginnt in the beginning, we're lovers and we're losers, we're heros and we're pioneers, we're beggars and we're choosers - er schaut sich einmal um in seinem Freundeskreis aus verhinderten Rockstars, Möchtegern-Szenefotografen und Independent-Filmemachern, ein spöttisch-liebevoller Rundumschlag, We're almost on the guest list, we're always stuck in traffic... we're the C team with the almost famous old friends of the stars.Love, ire and song von 2008.
Das ist wirklich eine Perle des modernen Songwritertums. Ich kann nicht mit allen seinen Alben so viel anfangen, aber das hier wird mich sicher noch lange begleiten. Es ist eines der Alben, die ich ohne einmal zu skippen durchhören kann und ich freu mich noch beim hundertsten Mal immer wieder auf jedes nächste Lied, so gut sind sie alle
Er beginnt in the beginning, we're lovers and we're losers, we're heros and we're pioneers, we're beggars and we're choosers - er schaut sich einmal um in seinem Freundeskreis aus verhinderten Rockstars, Möchtegern-Szenefotografen und Independent-Filmemachern, ein spöttisch-liebevoller Rundumschlag, We're almost on the guest list, we're always stuck in traffic... we're the C team with the almost famous old friends of the stars.Gleich geht es weiter mit einem Mutmachstück, denn letztendlich kochen alle nur mit Wasser und schaut mich an, so singt er, ich bin auch nur ein dürrer Liedermacher, der sich nach Liebe sehnt. Reasons not to be an idiot heißt das Stück und seine Texte sind einfach immer zuhörenswert. Glasklar gesungen, jedes Wort mit dicker, weißer Kreide an die Wand geschrieben, er will verstanden werden, das komplette Gegenstück zu verschwurbelter Shoegazer-Lyrik. Er ist ein Agitator des Folk und man hört ihm seine Herkunft aus dem Punkrock deutlich an. Eine One-man-Folkpunk-Band. Deine Rede sei Ja, ja, nein, nein. Hier gibt es nichts Lauwarmes. Diese Attitüde kann auch nerven, aber nicht auf diesem Album, hier hält er noch gekonnt die Waage zwischem Pathos und rotzigem Spott.
Im schmissigen Mitgrölsong Photosynthesis verlangt er nichts weniger als sein Leben zu leben, als wäre jeder Tag der letzte, gemäß seinem Motto At least I tried. Alles andere sei doch nur vegetieren, Photosynthese halt. Das aber im fröhlichsten Folk-Schunkel-Rhythmus, er will uns auch nicht auf den Sack gehen damit, ist halt nur seine Meinung. Er ist wirklich sehr dürr, man möchte ihn füttern.
In weiteren Songs geht es natürlich um vergebliche Liebe und wie die Musik immer nur sein Substitute sein wird, if music was the food of love then I would be a fat romantic slob. Aber so einfach ist es halt nicht, I wrote her sixteen songs and ended up alone. Als charmanter und erfolgreicher Musiker bleiben das aber eher Luxusprobleme, I've had many different girls inside my bed, but only one or two inside my head. Er ist ja schon ein Süßer:
Immer wieder geht es darum, nicht mehr jung und zornig genug zu sein, die Angst, sich und die Sache zu verraten, but these day I sit at home, known to shout at my TV and Punk Rock didn't live up to what I hoped that it could be... Hier erinnert er an den britischen Polit-Recken Billy Bragg, mit dem er oft verglichen wird. Er seziert die Mechanismen des Hereinwachsens in die Gesellschaft, aber weder verbissen noch desillusioniert, er stellt es einfach fest und rät, dennoch immer wieder einen draufzumachen, scheiß der Hund drauf. If we're stuck on this ship and it's sinking, then we might as well have a parade, cos if it's still going to hurt in the morning and a better plan's set to get forming, then where's the harm spending an evening?
Bier trinken mit Freunden in Pubs ist ihm sehr wichtig und hier gefällt er mir natürlich auch sehr gut. Seine Trinklieder sind so englisch wie frisch gezapftes Ale, wie Fish and Chips, in eine fettige Zeitung gerollt, wie Regen um 5 Uhr morgens, während man auf den ersten Bus wartet. Das Mark des Lebens aussaugen, das Glas bis zur Neige leeren, darum geht es immer wieder, er verknüpft trockene Lebensphilosophie mit pragmatischen Tipps, wie man an einem Abend in der Stadt richtig Spaß hat. Seine Pub-Konzerte sollen auch höchst vergnügliche Gruppenbesäufnisse sein, ein Anfass-Star.
Und das passt wieder fugenlos mit einem Lied über eine Freundin zusammen, die viel zu jung an Krebs stirbt, dann wird eben ihr letzter Wille gefeiert, noch einmal durch die Clubs zu ziehen, sie kann es ja nicht mehr, aber hätte es so gewollt:
So I tried to think what Lex would want me to do at times like this when I was feeling blue. So I gathered up some friends to spread the sad, sad news and we headed to the City for a drink or two. And we sang: "We live to dance another day, it's just now we have to dance for one more of us, so stop looking so damn depressed, and sing with all our hearts, long live the Queen!"
The Queen is dead and South London's not the same anymore - ein todtrauriges Lied, aber rotzig und schnell gespielt. Sich nur nie unterkriegen lassen, ist das die britische stiff upper lip? Gegen Ende der Platte wird es dann doch etwas larmoyant, das muss ich ihm leider vorwerfen, er bemitleidet manchmal etwas zu sehr sein schreckliches Leben als Rockstar. Jaja, jede Nacht ein neues Hotelbett, mir kommen die Tränen...
Egal, die Platte rockt so sehr, wie ein Mann mit Akustikgitarre rocken kann, Singer/Songwriter-Folk mit Punk-Attitüde und einem enormen, unstillbaren Lebenshunger. Diese Platte höre ich laut und mach ein Bier auf und alles Doofe und Kleinliche und Nervtötende verstummt und es bleibt doch noch so viel Gutes, was man tun kann - einen Freund mal wieder anrufen, sich auf ein Bier verabreden. Runter an den Fluss gehen. Spontan in eine fremde Stadt fahren. Diese Frau endlich mal doch ansprechen. Den Arsch hochkriegen und irgendwas aus seinem Leben machen, was auch immer. Und ganz besonders: Yeah whatever else maybe I will not forget my friends!
Zwölfmal auf CD gebrannte Lebenshilfe von der Insel, einmal täglich einzunehmen
10 von 10 french kisses of an english boy with an Parisian girl
]]>ThanilFlatraten in Togo2010-09-24T11:53:00+02:002010-09-24T11:53:00+02:00tag:tylerskneipe,2011:tylerskneipe.317Immer mehr endemische Tierarten in bis dato von der Natur fein abgegrenzten Biotopen sind ja durch sogenannte Bioinvasoren bedroht. Fremde Tierarten, die teils absichtlich eingeführt wurden (wie die Karnickel in Australien), oder die sich teils im Bilgewasser der großen Pötte eingeschlichen haben und dann die heimischen Krebse und Fischlein schlicht verdrängen.
Ähnliches passiert seit Jahren mit der deutschen Sprache. Wir bekommen morgens unseren Wake Up Call, futtern mittags fröhlich unseren Hämbörger, rechnen nachmittags Business Pläne und chillen abends in der Lounge. Wenn ich mal wieder drohe aus der Haut zu fahren, weil Junior wieder mal mit Strafarbeit und Verweis vor der Tür steht, kommt überigens auch regelmäßig ein gelangweiltes "chill mal!".
Schön und gut. Das ist aus meiner Sicht alles noch kein wirklicher Grund zur Beunruhigung. Sollte Herr Sarrazin Recht behalten, dann gibt es ja auf Sicht sowieso kaum noch Deutsche mit deutschem Hintergrund und wir reden irgendwann eine muntere Melange aus Türkisch, Arabisch und Englisch. Check? Check!
Ähnliches passiert seit Jahren mit der deutschen Sprache. Wir bekommen morgens unseren Wake Up Call, futtern mittags fröhlich unseren Hämbörger, rechnen nachmittags Business Pläne und chillen abends in der Lounge. Wenn ich mal wieder drohe aus der Haut zu fahren, weil Junior wieder mal mit Strafarbeit und Verweis vor der Tür steht, kommt überigens auch regelmäßig ein gelangweiltes "chill mal!".
Schön und gut. Das ist aus meiner Sicht alles noch kein wirklicher Grund zur Beunruhigung. Sollte Herr Sarrazin Recht behalten, dann gibt es ja auf Sicht sowieso kaum noch Deutsche mit deutschem Hintergrund und wir reden irgendwann eine muntere Melange aus Türkisch, Arabisch und Englisch. Check? Check!Aber gestern, auf dem Weg zur Wiesn, mitten in München (zugegebenermaßen im Untergrund) sah ich große Plakate der Marke BASE (sprich Bäyz), die übrigens der deutschen Firma E-Plus gehört, die wiederum aber schon seit einer Weile in holländischem Besitz ist (das nur am Rande). Da wurde in großen Lettern mitgeteilt, dass man bei BASE die besten Flats bekäme. So etwa:
Man lese das unvermittelt als Deutschsprachiger einmal laut. Bei Base bekomme ich die besten Flats. Kopfschuss, oder? Ich fand schon vor einiger Zeit das muntere Flatraten als Nachfolger von Robert Lemkes Beruferaten interessant und dachte einen kurzen Augenblick lang, dass die Flatraten ein friesischer Volksstamm gewesen seien. Aber die Flatraten sind jetzt dann ja auch ausgestorben. Verdrängt von den Flats. Flats? Flats! Das ist das Geräusch, das ein Eier-/Pfannkuchen macht, der beim Versuch des coolen Wendens mittels aus der Pfanne mit einem Ruck in die Luft werfens, eine unvorhergesehene Flugbahn einnimmt und auf dem Fußboden landet. Flats! Aber doch bitte kein Produkt, das man kaufen kann. Flats ist der Sohn der Mutter Tarif und des Vaters Gebühr. So eine Art Kevin Patrick der Produktfamilie. Brauchen wir sowas? Armes Deutschland.
Und wenn ich schon mal dabei bin: Ist euch eigentlich aufgefallen, dass immer mehr Produkte in Deutschland aus Westafrika kommen. Vom Golf von Guinea, genauer gesagt, aus dem schönen kleinen Staat Togo. Schaut mal genauer hin. Bei Starbucks (!) zum Beispiel, aber mittlerweile auch bei Rackl's Backstube, gibt es den leckeren Kaffee Togo. Ich wusste bislang gar nicht, dass dort auch Kaffee angebaut wird. Aber nicht nur das - beim Frisör, verzeihung, beim Coiffeur und beim Hairstylisten gibt es für 10 EUR den Cut Togo (der Afrikaner ist ja bekannt für seinen filigranen Umgang mit der Friseurschere - oder ist es ein Cut a la Togo? Kommt der Afrolook wieder?). Und bei Mac Donalds und Burger King (Bürgerkönig) werden wir gefragt: "Hier essen oder Togo?" (wegen der Mehrwertsteuer übrigens, die im einen Fall 7%, im Anderen 19% beträgt. Also bitte immer schön "Hier essen" sagen, dann mindert Ihr die Rendite von diesem US-imperialistischen Bratlingkonzern). "Hier essen oder Togo?" werden wir also gefragt... Ich meine, bis ich in Togo bin, ist der Fleischklops doch schon kalt und schimmelig. Wie kommen die auf sowas?
Ich glaube, ich mach mir jetzt erst mal einen schönen Kaffee Togo und chill mal!
]]>ThanilSkript-Idee für den nächsten Emmerich2009-11-16T14:36:00+02:002009-11-16T14:36:00+02:00tag:tylerskneipe,2011:tylerskneipe.316Zeitpunkt: 2512
Die Menschen besiedeln inzwischen die gesamte Galaxis. Es gibt Außenstationen auf den unterschiedlichsten Exo-Planeten, wo man in friedlicher Koexistenz mit diversen dinosauriermorphen Alienrassen lebt. Ein Großteil der Zivilisation haust jedoch auf gigantischen Raumstationen: das sind eher Städte, ausufernde Schiff-Cluster, die über Rohre miteinander verbunden sind; das Szenario lässt sich auf der Kinoleinwand mit schön vielen Details umsetzen, inklusive gleichzeitigem Sonnenauf- und untergang im Hintergrund und kleinen Schiffen, die um das Netz herumwuseln.
Auf einer dieser Stationen lebt Familie Moon, der Vater ist Astrophysiker und gerade entlassen worden, weil niemand seiner Theorie über expandierende Schwarze Löcher, die die gesamte Galaxis auffressen, Glauben schenken will. Deswegen hat ihn auch seine bildhübsche Frau verlassen, die nun in den Armen eines korrupten Politikers ihr Glück neu definiert.
Unterdessen entdeckt ein heruntergekommenes Outlaw-Schiff, auf der Suche nach vermarktbaren Rohstoffen, gewisse Anomalien im Raumzeitgefüge, etwa dass die Antworten über Funk vor den gestellten Fragen aus den Bordlautsprechern knistern. Kurze Zeit später verschwindet das Schiff unter bunt wabernden Lichteffekten. Überall im Universum stoßen sich Wissenschaftler den Kopf, weil sie vor blinkenden Hologrammen aus dem Schlaf aufschrecken.
Das soll als Skizze der ersten zwanzig Minuten genügen. In den folgenden zwei Stunden verschluckt das Schwarze Loch alles, was sich ihm in den Weg stell. Ich stelle mir die Szenen, in denen Planeten gefressen werden, als Inversion von 2012 vor: Anstatt nach unten, fällt alles nach oben. Die Planeten werden Schicht für Schicht abgetragen, bis Henry (so nennen Wissenschaftler auf einer ersten Konferenz das Schwarze Loch; nach der Namensgebung sterben alle bis auf Held Moon, der ja von Anfang an alles besser wusste) schließlich den flüssigen Magma-Kern in sein Zentrum schlürft. Monde werden auf die Raumstationsnetze geworfen und reißen dort alles auseinander.
Retten kann sich natürlich nur der Physiker samt dessen Familie. Die letzte halbe Stunde besteht aus einer Verfolgungsjagd durch ein Wurmloch, dessen hinteres Ende Stück für Stück von Henry angenagt wird. Schließlich kann sich das Raumschiff der Familie in eine Parallelwelt flüchten, in der Milch und Honig fließen.Zeitpunkt: 2512
Die Menschen besiedeln inzwischen die gesamte Galaxis. Es gibt Außenstationen auf den unterschiedlichsten Exo-Planeten, wo man in friedlicher Koexistenz mit diversen dinosauriermorphen Alienrassen lebt. Ein Großteil der Zivilisation haust jedoch auf gigantischen Raumstationen: das sind eher Städte, ausufernde Schiff-Cluster, die über Rohre miteinander verbunden sind; das Szenario lässt sich auf der Kinoleinwand mit schön vielen Details umsetzen, inklusive gleichzeitigem Sonnenauf- und untergang im Hintergrund und kleinen Schiffen, die um das Netz herumwuseln.
Auf einer dieser Stationen lebt Familie Moon, der Vater ist Astrophysiker und gerade entlassen worden, weil niemand seiner Theorie über expandierende Schwarze Löcher, die die gesamte Galaxis auffressen, Glauben schenken will. Deswegen hat ihn auch seine bildhübsche Frau verlassen, die nun in den Armen eines korrupten Politikers ihr Glück neu definiert.
Unterdessen entdeckt ein heruntergekommenes Outlaw-Schiff, auf der Suche nach vermarktbaren Rohstoffen, gewisse Anomalien im Raumzeitgefüge, etwa dass die Antworten über Funk vor den gestellten Fragen aus den Bordlautsprechern knistern. Kurze Zeit später verschwindet das Schiff unter bunt wabernden Lichteffekten. Überall im Universum stoßen sich Wissenschaftler den Kopf, weil sie vor blinkenden Hologrammen aus dem Schlaf aufschrecken.
Das soll als Skizze der ersten zwanzig Minuten genügen. In den folgenden zwei Stunden verschluckt das Schwarze Loch alles, was sich ihm in den Weg stell. Ich stelle mir die Szenen, in denen Planeten gefressen werden, als Inversion von 2012 vor: Anstatt nach unten, fällt alles nach oben. Die Planeten werden Schicht für Schicht abgetragen, bis Henry (so nennen Wissenschaftler auf einer ersten Konferenz das Schwarze Loch; nach der Namensgebung sterben alle bis auf Held Moon, der ja von Anfang an alles besser wusste) schließlich den flüssigen Magma-Kern in sein Zentrum schlürft. Monde werden auf die Raumstationsnetze geworfen und reißen dort alles auseinander.
Retten kann sich natürlich nur der Physiker samt dessen Familie. Die letzte halbe Stunde besteht aus einer Verfolgungsjagd durch ein Wurmloch, dessen hinteres Ende Stück für Stück von Henry angenagt wird. Schließlich kann sich das Raumschiff der Familie in eine Parallelwelt flüchten, in der Milch und Honig fließen.
]]>Thanil11 Freunde sollt ihr sein2009-10-05T17:00:00+02:002009-10-05T17:00:00+02:00tag:tylerskneipe,2011:tylerskneipe.315Ich muss hier wirklich mal eine große Lanze für das Monatsmagazin "11 Freunde" brechen. Es ist die perfekte Lektüre für den etwas intellektuelleren Fan. Da gibt es keine Spielberichte oder Ergebnisse, sondern einfach nur gute, witzige und extrem unterhaltsame Geschichten rund um den Fußball. Es nennt sich ja auch selbst "Magazin für Fußballkultur".
Ich kaufe mir die "11 Freunde" meist zu Beginn längerer Zugfahrten. Die Geschichten im Heft sind ja nicht tagesaktuell, daher hat man keine Eile beim Lesen. Trotzdem habe ich eine Ausgabe meist sehr schnell durchgelesen. Das Faszinierende daran ist, dass ich jeden Artikel lese. Egal wie dröge oder absurd das Thema auch zu sein scheint, die Artikel sind so humor- und liebevoll geschrieben, dass es immer Spaß macht. Noch dazu sind sie immer sensationell recherchiert und man erfährt Dinge, die man in der normalen Sportberichterstattung nie hören oder lesen würde. Das gilt auch für die Interviews. Gegenüber 11 Freunde wirken viele Fußballer deutlich offenherziger, als sie es in den Mainstream-Medien sind.
In den Geschichten der 11 Freunde wird Fußball wieder zum Spiel, also zum Fußballspiel. Medienmacht, Kohle und Kommerz rücken in den Hintergrund. Auch heute noch gibt es Geschichten, die man in unserer glattgebügelten Medienfussballwelt gar nicht mehr für möglich gehalten hätte.
Ich kaufe mir die "11 Freunde" meist zu Beginn längerer Zugfahrten. Die Geschichten im Heft sind ja nicht tagesaktuell, daher hat man keine Eile beim Lesen. Trotzdem habe ich eine Ausgabe meist sehr schnell durchgelesen. Das Faszinierende daran ist, dass ich jeden Artikel lese. Egal wie dröge oder absurd das Thema auch zu sein scheint, die Artikel sind so humor- und liebevoll geschrieben, dass es immer Spaß macht. Noch dazu sind sie immer sensationell recherchiert und man erfährt Dinge, die man in der normalen Sportberichterstattung nie hören oder lesen würde. Das gilt auch für die Interviews. Gegenüber 11 Freunde wirken viele Fußballer deutlich offenherziger, als sie es in den Mainstream-Medien sind.
In den Geschichten der 11 Freunde wird Fußball wieder zum Spiel, also zum Fußballspiel. Medienmacht, Kohle und Kommerz rücken in den Hintergrund. Auch heute noch gibt es Geschichten, die man in unserer glattgebügelten Medienfussballwelt gar nicht mehr für möglich gehalten hätte.11 Freunde portraitiert sowohl Stars, als auch (fast) völlige No-Names oder ausländische Spieler/Teams. Mal sind Messi oder Ballack die Titelhelden (wie diesen Monat), mal die Truppe von Rot-Weiß Oberhausen, die zuletzt eine ganze Saison lang von einem 11-Freunde Reporter begleitet worden sind (in der Kabine, im Trainingslager, überall). Außerdem ist immer ein Stadionposter enthalten, auf dessen Rückseite die Geschichte und Geschichten des jeweiligen Stadions festgehalten sind. Dies geschieht natürlich mit sehr viel Liebe zum Detail.
Die aktuelle Oktober-Ausgabe ist ein besonders gelungenes Beispiel, wie ich finde, weil es die gesamte Bandbreite der Thematik abdeckt.
Am Anfang gibt es viele Kurz-Infos und kleine Anekdoten. So übernimmt zum Beispiel der ehemalige Kult-Spieler Souleyman Sane jetzt den Kreisligisten DJK Wattenscheid. Und der französische Erstligaaufsteiger US Boulogne hat eine "Frank Ribery Tribüne" (großes Foto). Außerdem erzählt Campino, wie Peter Crouch auf seinem Junggesellenabschied spontan und im Suff zu einem Toten-Hosen Konzert nach Braunschweig gejettet ist und am nächsten Tag in der Presse stand, er sei wegen Vertragsverhandlungen mit dem VFL Wolfsburg da gewesen. Das sind alles Geschichten, die man nirgendwo anders liest.
Besonders lustig ist die Rubrik "Live-Ticker", die sich unten auf den Eingangsseiten befindet. Dort werden kurze, oft humorige Meldungen notiert: "Rührend, wie Frankfurts Keeper Markus Pröll versuchte, in der Statistik "Kuriose Fußballverletzungen" Plätze gut zu machen, indem er sich beim Sturz über ein kleines Mädchen das Schultergelenk auskugelte. Allein, an Santiago Canizares (Schnittwunde durch Parfumflasche), Jari Litmanen (Korken ins Auge) und Franz Michelberger (Zusammenstoß mit Kamel) ist in den nächsten Jahrzehnten kein Vorbeikommen!"
Zum Thema Fußball und Politik gräbt 11 Freunde ein geniales Foto aus den 80ern aus. Helmut Kohl auf Stippvisite beim Fußball-Training. Der junge Kalle Rummenigge (im senffarbenen T-Shirt und lila Trainingshose bis zum Nabel hochgezogen) guckt leicht entrückt an der Kamera vorbei. 11 Freunde: "Rummenigge aber hätte man über den Besuch des Kanzlers informieren müssen. So wirkt die Garderobe doch arg nachlässig." Allein dieses Foto... das sind Perlen, für die sich der Kauf uneingeschränkt lohnt. Und davon gibts in der 11 Freunde jede Menge.
In jeder Ausgabe gibt es eine Seite mit lustigen Fußballer-Sprüchen, oft nach bestimmten Themen zusammengestellt. In dieser Ausgabe ist das Thema Olli Kahn. "Die Karten sind neugewürfelt!" (Dreierpasch beim Pokern für Oliver Kahn).
Im Hauptteil folgen dann die Leitartikel und die längeren Reportagen und Interviews. So erzählt in diesem Monat zum Beispiel Jimmy Hartwig vom Meisterschaftstriumph seines HSV 1982, der mit einem 4:3 bei den Bayern so gut wie klar gemacht wurde. Man lag allerdings zur Pause noch 1:3 hinten. Dann habe Trainerlegende Ernst Happel sie in der Kabine zusammengeschrien: "Ihr Hurensöhne!" und dann liefs plötzlich.
Die Karriere Michael Ballacks wird in einem langen Artikel wunderbar nachgezeichnet. In einem ebenso langen Interview sagt Ballack etwas, was ich gut nachvollziehen kann. Frage: Lieben Sie Deutschland mehr, seit Sie weg sind? Antwort: Ich würde sagen, an fühlt sich noch mehr für sein Land verantwortlich. Es ist ja so, dass die Engländer von mir automatisch auf alle Deutschen schließen. Man wird 'The German' genannt und sie sagen, guck mal, das war aber wieder typisch deutsch. Oder auch nicht. Ich denke, jeder der im Ausland lebt, kennt dieses Gefühl. Dass man ungewollt zu einer Art Botschafter wird.
In einem anderen Interview sprechen Präsident Strutz und Manager Heidel offen und ehrlich über ihre nun fast zwanzigjährige (!) Amtszeit bei Mainz 05 (wer wusste das? Ich nicht!). Da werden auch einige sehr richtige Aussagen zum Thema Hoffenheim und 50+1 getätigt. Das hätte ich dem Heidel gar nicht zugetraut.
Ein Highlight des Hefts ist die Reportage über die Spieler des VDV-Teams, das Team der vereinslosen Spieler. Da wird viel über Emotionen, Schicksale und Menschen berichtet. Der FC hatte neulich erst ein Testspiel gegen dieses "Team", das sich in Duisburg fit hält. Ein Jahr lang haben die Kicker gesetzlichen Anspruch auf Arbeitslosengeld, ALG I. Sie werden beim Amt in der Kategorie "Künstler" geführt, sogar die Innenverteidiger. VDV-Mitarbeiter Ulf Baranowsky sagte Ende Juli: 'Wir hoffen, dass das Team schnell auseinanderfällt'.
Sehr lesenswert ist auch die Reportage über die Karriere Jörg Butts und seinen Aufstieg zur erneuten Nummer 1 bei den Bayern. In keinem anderen Heft würde so sehr die Persönlichkeit eines Spielers (und ihre Rolle in der sportlichen Entwicklung) beleuchtet werden, wie in der 11 Freunde.
Außerdem haben die 11 Freunde drei englische Alt-Hooligans in London besucht. Aber den Artikel hab ich noch nicht gelesen. Ich freu mich aber schon drauf.
Die Ausgabe enthält ein Sonderheft zum Thema "Frauenfußball", in dem die 19-jährige Europameisterin Kim Kulig interviewt wird. Auf die Frage nach Fanpost und Groupies gibt sie entwaffnend ehrlich zu Protokoll: "Nach den Spielen kommen manchmal kleine Kinder, und bei meinen Eltern ruft ständig so ein komischer Typ an, der mich sprechen will. Aber natürlich geben sie ihm nicht meine Nummer." In einem weiteren Artikel schildert Torhüterin Marion Isbert das dramatische Elfmeterschießen im EM-Halbfinale 1989 gegen Italien: "Nach dem ich den dritten Elfmeter gehalten hatte, kam meine Mitspielerin Sissy Raith zu mir und meinte: 'Wer drei hält, kann auch einen schießen' [...] Ich ging also zum Ball und schoss: flach in die Mitte, unplatziert, einfach schlecht, als hätte man mich gegen den Ball geschubst. Es war schrecklich, aber der Ball war drin. Alles andere zählte nicht."
]]>ThanilWie sich 20 Jahre Einheit anfühlt2009-10-03T15:34:00+02:002009-10-03T15:34:00+02:00tag:tylerskneipe,2011:tylerskneipe.314Am 3.Oktober und am 9. November werde ich irgendwie immer ziemlich rührselig. Dabei war ich noch nicht mal im Grundschulalter, als die Mauer fiel. Und doch: sobald sich die Menschen von 89 sich im Fernsehen in den Armen liegen, kullern bei mir die Tränchen.
Meine Eltern wurden beide in der DDR geboren, flüchten war für sie nie eine Option. Die gesamte Verwandtschaft wohnte in der DDR, in der BRD kannte man niemanden und auf Germanisten hatte man "drüben" gerade so gewartet. Das lag natürlich auch daran, dass unsere Familie ein relativ angepasstes Leben führte. Bis auf meinen Großvater, der regelmäßig erst fünf vor 18 Uhr im Wahllokal auftauchte, um die auf 100% Wahlbeteiligung getrimmten Wahlhelfer zum Wahnsinn zu treiben, gab es bei uns keine öffentliche Stellungnahme gegen diesen Staat.
Natürlich gab es genug Schikanen. Handwerker mit eigenem Haus und Laden gehörten ja quasi schon zu Bourgeoisie, da muss man schon dreimal überlegen, ob wirklich alle Kinder zum Studium zugelassen werden müssen. Bei meinem Onkel konnten die oberen Sesselfurzer noch überredet werden. Meine Tante ist heute sehr glücklich in ihrem Handwerksberuf, aber ich glaube, eigentlich, hätte sie schon sehr gerne studiert.
Woran sich meine Familie auch immer sehr ungern erinnert, ist die militaristische Ausrichtung dieses Staates. Meine Mutter musste ins paramilitärische Ausbildungslager. Sie erzählt ungefähr genau so viel davon wie mein Vater, der sich sein Studium durch drei Jahre NVA erkaufen musste.
In vielerlei Hinsicht geht es uns gold im Vergleich zu vor 20 Jahren. Natürlich gab es mehrere Enttäuschungen nach der Wiedervereinigung. Mein Großvater war
Meine Eltern wurden beide in der DDR geboren, flüchten war für sie nie eine Option. Die gesamte Verwandtschaft wohnte in der DDR, in der BRD kannte man niemanden und auf Germanisten hatte man "drüben" gerade so gewartet. Das lag natürlich auch daran, dass unsere Familie ein relativ angepasstes Leben führte. Bis auf meinen Großvater, der regelmäßig erst fünf vor 18 Uhr im Wahllokal auftauchte, um die auf 100% Wahlbeteiligung getrimmten Wahlhelfer zum Wahnsinn zu treiben, gab es bei uns keine öffentliche Stellungnahme gegen diesen Staat.
Natürlich gab es genug Schikanen. Handwerker mit eigenem Haus und Laden gehörten ja quasi schon zu Bourgeoisie, da muss man schon dreimal überlegen, ob wirklich alle Kinder zum Studium zugelassen werden müssen. Bei meinem Onkel konnten die oberen Sesselfurzer noch überredet werden. Meine Tante ist heute sehr glücklich in ihrem Handwerksberuf, aber ich glaube, eigentlich, hätte sie schon sehr gerne studiert.
Woran sich meine Familie auch immer sehr ungern erinnert, ist die militaristische Ausrichtung dieses Staates. Meine Mutter musste ins paramilitärische Ausbildungslager. Sie erzählt ungefähr genau so viel davon wie mein Vater, der sich sein Studium durch drei Jahre NVA erkaufen musste.
In vielerlei Hinsicht geht es uns gold im Vergleich zu vor 20 Jahren. Natürlich gab es mehrere Enttäuschungen nach der Wiedervereinigung. Mein Großvater warsehr leichtgläubig und fiel mehrere Male auf vertrauenswürdige Menschen im Anzug herein, die den weiten Weg aus Bayern angetreten hatten, um ihm Schweinehälften, Ferienhäuser auf Mallorca und noch einiges mehr zu verkaufen. Ich glaube, bis zu seinem Tod, hat er den Kapitalismus nicht bis zum Letzten verstanden. Nach seinem Tod gab es bestimmt an die dreißig Zeitschriften Abonnements, die ihm einen Lotto-/sonstigen Gewinn versprachen.
Glück hatten meine Eltern in Berlin. Auf einmal gab es Wohnungen nicht nur unter der Hand und vor allem in renovierter Form. Keine Badezimmer, die man selbst mit Kacheln versorgen musste (die natürlich vorher auf dem Schwarzmarkt erst besorgt werden mussten). Gerade mit zwei kleinen Kindern, war das eine große Erleichterung.
Glück hatte auch meine Mutter, die im öffentlichen Dienst nur das Kommen und Gehen der Kollegen mit Stasivergangenheit beobachtete, aber deren Job sicher war. Mein Vater musste sich neu orientieren und landete in der Werbebranche. Ich habe großen Respekt davor, wie er als frischer Ossi sich in dieser Branche zurecht fand. Gerade durch seinen Beruf, hat sich unsere Kernfamilie, so denke ich, sehr schnell an die Wiedervereinigung gewöhnt.
Für mich und meine Schwester war diese ganze Angelegenheit überhaupt nur nebensächlich. Ich ärgerte mich, dass nun meine ganzen Lieblingsmärchenfilme nicht mehr im Kino Babylon liefen und dass die Ampeln auf einmal anders aussahen. Gefürchtet habe ich mich, beim ersten Grenzübertritt, wo der Vopo noch sehr grimmig in meinen DDR Kinderausweis guckte. Aber ohne Übertritt gab's ja erstmal kein Begrüßungsgeld, und meine Mutter wollte endlich nicht mehr Stoffwindeln sondern echte Pampers haben.
Bei den Mauerspechten war meine kindliche Überzeugung, dass Erwachsene wissen, was sie tun, etwas erschüttert. So ganz verstand ich es nicht, warum es jetzt en vogue war, einfach so etwas kaputt zu machen.
Aber ich hatte Zeit genug, mich darauf einzustellen. Zwei Jahre später kam ich in die Schule und traf sehr verunsicherte Grundschullehrer an, die keine Ahnung hatten, was sie einem nun beibringen durften und was nicht. Also malte und sang ich mich bis in die dritte Klasse. Meine Matheschwäche schreibe ich noch immer dieser Unsicherheit des Nach-Wende-Bildungssystems zu. Vielleicht war das aber auch nur wieder Berlin.
Nach der Grundschule fühlte ich mich sowieso wie eine Gesamtdeutsche. Also, dachte ich mir, ab auf ein Gymnasium in Charlottenburg! Die Umstellung war brutal. Ich sprach teilweise eine ganz andere Sprache als meine Mitschüler "Nicki, was ist denn ein Nicki? Ach, ein T-Shirt meinst du!" und war sowohl im Umgang mit Geld als auch mit Teenagern, die es gewohnt waren, sich selbst zu loben, noch unerprobt. Das erste Jahr war hart. Ich trug Pferdepullover, während es um mich herum Schlaghoste und Plateauschuhte. Ich war es gewohnt, bescheiden aufzutreten, meine Mitschüler betraten den Raum mit "Hier komm ich!". Es wurde besser, aber mir wurde so zum ersten Mal klar, dass da doch noch einige Unterschiede bestanden zwischen "mir" und "denen".
Glücklicherweise wurde mir bald klar, dass ich vielleicht einfach nur Pech hatte mit meiner Schulauswahl. Die ersten Reisen nach Südtirol, Frankreich und Italien standen an. Ich verbrachte eine Halbjahr in Kanada. In einem nerdigen Herr der Ringe Forum lernte ich Berliner aller Bezirke kennen und schätzen. Heute fühle ich mich als Gesamtdeutsche. Aber durch diese ganze familiäre Geschichte kommt es immer noch dazu, dass ich mich automatisch oder widerwillig in der Position wiederfinde, wo ich für "Ossis" spreche. Sei es nun weil mich andere Menschen dazu erklären, mich als "eine von uns" erkennen oder weil ich bestimmte Plattitüden nicht unkommentiert stehen lassen möchte.
Ich bin sehr gespannt wie sich das in weiteren 20 Jahren anfühlen wird.
]]>TriskelImmer da wo du bist bin ich nie2009-09-24T19:00:00+02:002009-09-24T19:00:00+02:00tag:tylerskneipe,2011:tylerskneipe.313Die neue EOC-Scheibe ist rauer und ruppiger. Anders die "Mittelpunkt der Welt", die sich schon beim ersten Mal Durchhören buttrig-weich in die Gehörgänge schmeichelte und den Hörer sich wohlig schnurrend auf dem Sofa räkelnd zurückließ, verlangt die "Immer da" etwas mehr Entgegenkommen und Geduld und ich hab sie mir noch lange nicht "erhört", da brauch ich noch ein paar Durchgänge.
EOC haben ihren unverwechselbaren Sound seit 20 Jahren und schaffen es doch gleichzeitig, jeder Platte einen eigenen Touch zu geben. Auf der "Mittelpunkt" war es der volle, weiche Folk, der mit den Mundharmonikastücken des Robert-Zimmermann-Soundtracks auf die Spitze getrieben wurde. Und damit vielleicht auch ausgereizt für die Jungs. Diesmal ist es ein Hauch von Country, abgemischt in Nashville haben sich Steel-Guitars, schwere Bassläufe und schunkelnde Mariachi-Rythmen in die Songs geschlichen. Da schlagen die Drums auch schon mal im düster-wirbelnden Marschtakt, als würden gleich die Pennsylvania Volunteers vorbeiziehen. Eine sehr interessante neue Note. Dabei klingt das nie wirklich wie Country, also nicht an BossHoss denlken, es sind nur kleine, subtile Elemente. Da erinnert mal ein Basslauf an den Boom-chicka-boom-Sound der alten Johnny Cash-Stücke oder eine Gitarre pickt im Bluegrass-Style ein wenig im Hintergrund herum. Aber wirklich nur ein Hauch.
Auch die Texte sind etwas sperriger, aber mal wieder ganz viel wunderbare Alltagspoesie. Darüber schrieb ich mal was extra, das würde jetzt zu weit führen. Regeners kleine Tochter singt in einem Lied im Background-Chor, das ist schrullig. Wird Regener weich auf seine alten Tage?
Also herber und kantiger als die "Mittelpunkt", nicht so aus einem Guss, was aber natürlich auch toll ist, weil man sieht, die rosten nicht, die sind noch ganz munter und interessiert, die Elementarteilchen, da steckt noch viel Musik drin. Freu mich schon auf die Tournee.
]]>ThanilWickie und die starken Männer2009-09-22T18:21:00+02:002009-09-22T18:21:00+02:00tag:tylerskneipe,2011:tylerskneipe.312Jetzt wischen wir mal diesen ganzen Quatsch wie Inglorious Basterds, District 9 und Michael Jackson beiseite und wenden uns echten Männerfilmen zu.
Das Leben ist hart und rau zur Wikingerzeit, das Wetter der Vor-Klimawandelepoche, Entbehrung und das Diktat archaischer Sitten formen die Menschen. Die Frauen sind so unfruchtbar wie das karge Land, das sich jedem Versuch der landwirtschaftlichen Kultivierung entzieht. Der Überlebenswille zwingt die Männer zur Barbarei, in wackligen Booten rudern sie von Raubzug zu Raubzug; es gilt das Recht des Stärkeren, das Darwinsche Gesetz, auch wenn für das Wissen, wer Darwin war, der Bildungsstandard kaum ausreicht.
Am härtesten und am rausten ist das Leben -- natürlich! -- für die empfindsamsten und unschuldigsten der Wikingergeschöpfe: für die Kinder. Holt Wotan sie nicht während der ersten fünf Lebensjahre zu sich in die Krabbelstube von Walhalla, überlässt man sie den Gepflogenheiten der Natur, in der Hoffnung, das Spiel mit Wölfen und anderen Wikingerkindern möge ihnen Willen und Stärke eintreiben. Einer dieser Kinder ist Wickie (man beachte den mit Absicht allgemein gehaltenen Namen -- eine Allegorie auf das Wikingerkind an sich).
Und hier bezieht der Film Stellung, positioniert Intelligenz ganz klar über Kraft, die Wachheit des Geistes über den Kult des Körpers, Aufklärung über die Unvernunft des Kultischen.
Das Leben ist hart und rau zur Wikingerzeit, das Wetter der Vor-Klimawandelepoche, Entbehrung und das Diktat archaischer Sitten formen die Menschen. Die Frauen sind so unfruchtbar wie das karge Land, das sich jedem Versuch der landwirtschaftlichen Kultivierung entzieht. Der Überlebenswille zwingt die Männer zur Barbarei, in wackligen Booten rudern sie von Raubzug zu Raubzug; es gilt das Recht des Stärkeren, das Darwinsche Gesetz, auch wenn für das Wissen, wer Darwin war, der Bildungsstandard kaum ausreicht.
Am härtesten und am rausten ist das Leben -- natürlich! -- für die empfindsamsten und unschuldigsten der Wikingergeschöpfe: für die Kinder. Holt Wotan sie nicht während der ersten fünf Lebensjahre zu sich in die Krabbelstube von Walhalla, überlässt man sie den Gepflogenheiten der Natur, in der Hoffnung, das Spiel mit Wölfen und anderen Wikingerkindern möge ihnen Willen und Stärke eintreiben. Einer dieser Kinder ist Wickie (man beachte den mit Absicht allgemein gehaltenen Namen -- eine Allegorie auf das Wikingerkind an sich).
Und hier bezieht der Film Stellung, positioniert Intelligenz ganz klar über Kraft, die Wachheit des Geistes über den Kult des Körpers, Aufklärung über die Unvernunft des Kultischen.Wickie löst seine Probleme mit dem Kopf, nicht mit den Muskeln. So erfindet er während eines Aufnahmerituals, in dem es darum geht, schneller Steine von Punkt A nach Punkt B zu tragen als der rohe Vater, quasi im Vorbeigehen das Katapult und konstruiert ca. 500 Jahre vor Leonardo da Vinci und 700 Jahre vor den Brüdern Montgolfier das erste Fluggerät (hier stellt sich die Frage, ob Wickie auch im Alleingang Amerika entdeckt hat; ähnliches wird ja von Wikingern berichtet), um seiner Freundin zu gefallen. Das ist auch so ein Thema des Films: Wie entwickelt sich Liebe in einer Gesellschaftsform, deren Ausbrüche höchster Gefühle sich vor allem in den Grunzlauten im Anbetracht einer üppig gedeckten Tafel voller geplünderter Lebensmittel bemerkbar machen?
Nun, was ist der größte anzunehmende Schrecken einer weitestgehend unfruchtbaren Gemeinschaft, deren maskuliner Part die meiste Zeit fremde Dörfer brandschatzt? Richtig, der Verlust der Kinder. Und so kommt es, wie es kommen muss: Ein fremder Wikingerstamm entführt kurzerhand die Blagen. Der Grund für den Überfall: Einer Sage nach gibt es eine Insel mit einem Horn, und nur ein ehrliches Kind, welches noch nie gelogen hat, vermag das Horn zum Tuten zu bringen. Da der fremde Stamm dem eigenen Nachwuchs keine Manieren beigebracht hat (vgl.: Das Lob der Disziplin, Bernhard Bueb), muss er auf fremde Ressourcen zurückgreifen.
Was dann folgt, das ist eine Odyssee über die Weltmeere bzw. dem Ostsee-Teil davon, das ist der Kampf gegen die Dämonen einer chinesischen Zirkusgaleere und der Selbsterkenntnis, der Kampf gegen die Zeit und die Gesetze der Physik. Unnötig zu erwähnen, dass trotz des Pessimismus, der diesen Film umwebt, das Gute über das Böse, die Leichtigkeit des Wunsches zu Fliegen über die profane Anziehungskraft der Gravitation, das wache, aufgeweckte Kind über den Konservatismus des Vaters obsiegt. Somit verweist der Film auf den literarischen magischen Realismus eines Marquez, referenziert kurzweilig auf die Filme eines Kusturicas. Großes Kunstkino!
Wickie und die starken Männer – Deutschland/Dänemark/Aserbaidschan, 2009
]]>TriskelBudapest2009-09-11T20:31:00+02:002009-09-11T20:31:00+02:00tag:tylerskneipe,2011:tylerskneipe.311Nach meiner Solidaritätsteilnahme an der Budapest Gay Pride Parade bin ich noch einige Tage in der Stadt geblieben, vor wenigen Stunden bin ich wieder in Wien angekommen, und hier gibt es gleich einige frische Eindrücke von Demo und Stadt:
Den Ablauf der Pride habe ich als fast uneingeschränkt positiv empfunden, von irgendwelchen Krawallen oder Gewalttätigkeiten am Rande habe ich nichts mitbekommen, und die Stimmung innerhalb der Parade war sowieso durchweg freundlich und gelöst. Auch die Teilnehmerzahl ist mir nicht so gering vorgekommen, wie es in manchen Berichten heißt - 500 Teilnehmer scheinen mir stark untertrieben, alleine die kleine Wiener Gruppe umfasste ja gut 100 Leute. 1000 dürften es mE insgesamt mindestens gewesen sein. Trotzdem muss ich eine kleine Einschränkung meines guten Eindrucks vornehmen, der allerdings nicht die Organisation der Pride insgesamt, aber der Wiener Delegation betrifft: Bei der Ankunft in Budapest mussten wir ein ganzes Stück vor dem eigentlichen Beginn der Demo aussteigen und waren dabei mit einer ziemlich gefährlich aussehenden Gruppe Nazis der Ungarischen Garde konfrontiert, ohne irgendwelchen nennenswerten Polizeischutz in der Nähe zu haben. Noch dazu sind wir erst einmal in die falsche Straße eingebogen und eine Weile ungeschützt unter den Blicken der Nazi-Aktivisten in die falsche Richtung gegangen - eine Situation, die übel hätten ausgehen können und in der ich mich sehr unwohl gefühlt habe.frische Eindrücke von Demo und Stadt:
Den Ablauf der Pride habe ich als fast uneingeschränkt positiv empfunden, von irgendwelchen Krawallen oder Gewalttätigkeiten am Rande habe ich nichts mitbekommen, und die Stimmung innerhalb der Parade war sowieso durchweg freundlich und gelöst. Auch die Teilnehmerzahl ist mir nicht so gering vorgekommen, wie es in manchen Berichten heißt - 500 Teilnehmer scheinen mir stark untertrieben, alleine die kleine Wiener Gruppe umfasste ja gut 100 Leute. 1000 dürften es mE insgesamt mindestens gewesen sein. Trotzdem muss ich eine kleine Einschränkung meines guten Eindrucks vornehmen, der allerdings nicht die Organisation der Pride insgesamt, aber der Wiener Delegation betrifft: Bei der Ankunft in Budapest mussten wir ein ganzes Stück vor dem eigentlichen Beginn der Demo aussteigen und waren dabei mit einer ziemlich gefährlich aussehenden Gruppe Nazis der Ungarischen Garde konfrontiert, ohne irgendwelchen nennenswerten Polizeischutz in der Nähe zu haben. Noch dazu sind wir erst einmal in die falsche Straße eingebogen und eine Weile ungeschützt unter den Blicken der Nazi-Aktivisten in die falsche Richtung gegangen - eine Situation, die übel hätten ausgehen können und in der ich mich sehr unwohl gefühlt habe.Zum Glück hat die Polizei uns dann aber doch bald entdeckt und uns eine Eskorte geschickt, um uns zum Startplatz der Demo zu geleiten. In der Demo selbst herrschte dann die ganze Zeit eine sichere und entspannte Atmosphäre, die allerdings um den Preis eines massiven Polizeiaufgebotes samt Absperrungen und der damit verbundenen Isolierung von der restlichen Bevölkerung erkauft werden musste - für eine Demonstration, die sich an eine breite Öffentlichkeit richten sollte, um etwas an der gesellschaftlichen Stimmung zu verbessern, sicher keine optimale Situation, aber ich glaube nicht, dass irgendeiner der Teilnehmer das Risiko hätte in Kauf nehmen wollen, stattdessen in Krawalle mit gewalttätigen Nazi-Trupps verwickelt zu werden.
Zur Demo haben andere schon genug geschrieben und genug Bildmaterial geliefert, also weiter zur Stadt selbst. Vorneweg: Budapest ist eine riesige Stadt, erheblich größer als Wien (Allerdings liegt die Einwohnerzahl aufgrund der eher lockeren Bebauung in den äußeren Bezirken nur sehr knapp über der Wiens) und zu vielfältig, als dass man in nur vier Tagen mehr als einen vagen Überblick gewinnen könnte. Wenn ich nicht finanzielle Skrupel gehabt hätte, mein schon in Wien gekauftes Ticket für die Rückfahrt verfallen zu lassen, wäre ich sehr gerne noch länger geblieben, um noch mehr von dieser unglaublich kontrastreichen Stadt zu sehen, in der Wunderschönes und Entsetzliches so nahe beieinander liegt wie in keiner anderen Stadt, die ich bisher gesehen habe. Mein erster Erkundungsgang am Samstag führte mich direkt in das Schlimmste hinein, was Budapest zu bieten hat - Jozsefvaros.
Im Anschluss an die Pride war ich vom Endpunkt der Parade aus, einem belebten Platz an der Kreuzung von Ring und Rakoczi ut, recht ziellos geradeaus gelaufen, um in einen ruhigeren Teil der Stadt zu gelangen, ehe die Nazi-Horden der Gegendemo eintreffen würden. Nun, den Nazis bin ich erfolgreich ausgewichen, aber die Gegend, in die ich dabei geraten bin, kann man nicht weniger zutreffend als mit dem Attribut "ruhig" beschreiben - ich geriet mitten ins Zentrum des 8.Stadtbezirks Jozsefvaros (Josefstadt), der allerdings außer dem Namen herzlich wenig mit dem gleichnamigen Wiener Bezirk gemeinsam hat. Anfangs war ich einfach nur entsetzt und ungläubig - ich hatte nie für möglich gehalten, dass es in Europa tatsächlich auch nur etwas Vergleichbares geben könnte. Jozsefvaros nämlich ist kein "Problembezirk", wie es in Reiseführern euphemistisch formuliert wird, sondern ein Slum - ein Slum mit gründerzeitlichen Stuckfassaden und gusseisernen Laternen und Kandelabern aus dem fin de siecle. Dabei kann man dieses Viertel keineswegs als hässlich bezeichnen, vor hundert Jahren muss es dort wunderschön gewesen sein. Der allgegenwärtige Zerfall, die bedrückende Morbidität und Untergangsstimmung, die dort förmlich die Luft schwermacht, das Abbröckeln des Putzes, die Dreck- und Sperrmüllhaufen auf den Kopfsteinpflastern, die eingeschlagenenen, spinnenwebenüberzogenen Scheiben und die kratergroßen Schlaglöcher in den Straßen - all das strahlt eine düstere Großartigkeit aus wie eine stickige antike Katakombe oder die Ruine einer gotischen Kirche. Anders als die meisten sozialen Brennpunkte Westeuropas liegt Jozsefvaros nicht am Rand der Stadt, sondern fast direkt im Zentrum, in unmittelbarer Nähe zur Altstadt von Pest und zum Bahnhof Keleti, es besteht nicht aus Plattenbauten und Waschbeton-Bausünden wie die Problembezirke von Paris oder Berlin, sondern aus einem Labyrinth enger, extrem dicht bebauter Gründerzeitstraßen mit reich ornamentierten Fassaden - auch wenn es kaum ein Haus gibt, dessen Fassade nicht schon zur Hälfte abgefallen wäre und immer noch brockenweise zerfallen würde, den Blick auf nackte Brandmauern und poröse Ziegel freigebend.
Der ganze Bezirk ist von pulsierender Urbanität, kaum irgendwo sind die Straßen voller und belebter, aber es ist nicht gerade die Art von städtischem Leben, die irgendein Magistrat sich wünschen würde: Am hellen Nachmittag bieten Dealer vor Supermarkteingängen offen Heroin an, stehen vorzeitig gealterte Drogenprostituierte am Straßenrand, zeigen sich Gangs bulliger Jugendlicher mit Muskelshirts und militärischem Bürstenschnitt gegenseitig ihre Messer und Schlagringe, spielen kleine Kinder mit Spritzen, Bierdosen und Glasscherben. Gut ein Drittel der Bewohner sind Roma, die Arbeitslosigkeit und die Kriminalitätsraten sind landesweit Negativrekord. Wer hier wohnt, gehört zu den Ärmsten unter den Armen, zu den Ausgestoßenen unter den Ausgestoßenen. Ich habe bereits erwähnt, dass man diese urbane Hölle, diesen Alptraum jedes Stadtplaners nicht als einen normalen "Problembezirk" mit der üblichen westeuropäischen Bedeutung dieses Wortes bezeichnen kann, und dass lässt sich nicht genug betonen: Verglichen mit Jozsefvaros sind die Pariser Banlieus, Berlin-Neukölln, München-Neuperlach oder Wien-Hernals aristokratische Eliteviertel. Im Gegensatz zu sozialen Brennpunkten in Westeuropa ist hier nicht einmal die elementarste Grundsicherung der Bewohner gewährleistet: Ganze fünfstöckige Wohnhäuser haben kein einziges intaktes Fenster mehr und schützen sich mit aufgeklebten Pappquadraten oder Klebstreifen vor Wind und Wetter, manche Straßen sind so schadhaft, dass sie für Autos nicht mehr passierbar sind, viele oberirdische Stromleitungen sind seit offensichtlich langer Zeit zerrissen, ohne dass sich irgendjemand darum kümmern würde. Offenbar hat ein Teil der Haushalte keine elektrische Beleuchtung, denn bei Sonnenuntergang wird Jozsefvaros gespenstisch dunkel, das Gehör und der Geruchssinn werden dann schärfer, das aus allen Ecken kommende Grölen Betrunkener, die schrillen Lockrufe der Straßenprostituierten und das Geschrei von aneinandergeratenen Gruppen jugendlicher, der Gestank nach Alkohol, Teer und Staub werden intensiver. Manchmal wirft ein vorbeifahrendes Auto ein plötzliches Schlaglicht auf die halbkaputten Fassaden, die - sofern sie nicht schon ganz abgefallen sind - meistens von Einschusslöchern von Kugeln und Granatsplittern übersät sind, wohl aus dem Zweiten Weltkrieg (Die Schlacht um Budapest zwischen Wehrmacht und Roter Armee im Winter 1944/45 war extrem hart und blutig - 47 000 deutsche und 80 000 sowjetische Soldaten sowie 38 000 Zivilisten fanden dabei den Tod) oder vom Aufstand von 1956. Jedenfalls scheint sich in den vergangenen 50-60 Jahren niemand zuständig gefühlt zu haben, irgendetwas auszubessern.
Das alles ist ziemlich grauenhaft, stellenweise furchteinflößend - ich gebe zu, dass ich dort zum allerersten mal in meinem Leben wirklich Angst hatte, durch die Straßen zu gehen. Aber es hat auch, wenn man es schafft, das dort sichtbare menschliche Elend (Der Gedanke, dass in diesen dreckigen, zerbröckelnden Löchern wirklich Menschen leben, fällt oft schwer) zeitweise auszublenden, eine morbide Schönheit, etwas, das an die Ruinenromantik der Kunst des frühen 19. Jahrhunderts erinnert. Beispielsweise, wenn man nach einem langen Weg durch das enge, muffige Gewirr der dunklen Straßen plötzlich auf einen weiten, freien Platz tritt, auf dem sich monumental eine gewaltige Barockkirche erhebt, die dem Bezirk seinen Namen gebende Josefskirche aus dem frühen 18. Jahrhundert, als die Umgebung des Sakralbaus noch nicht zu einem Alptraum geworden war. Einige Straßen weiter, in der Nähe von Rakoczi ut und Üllöi ut, die Jozsefvaros begrenzen, ist ein großes Revitalisierungsprojekt im Gange, mit anspruchsvoller, moderner Architektur, großen Sanierungsmaßnahmen der Infrastruktur und neuerbauten Wohnungen der gehobenen Preisklasse. Aber ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass irgendwelche wohlhabenden Privatleute, von kommerziellen Investoren einmal ganz zu schweigen, wirklich den Mut haben werden, sich hier anzusiedeln, in einer Gegend, die seit der EU-Osterweiterung 2004 im Ruf steht, das vielleicht schlimmste Stadtviertel der EU zu sein. Zudem ist das im Vergleich zu Westeuropa ohnehin arme Ungarn von der Finanzkrise härter erwischt worden als jeder andere europäische Staat, die Arbeitslosigkeit ist stark im Anstieg begriffen, das BIP schrumpft dramatisch, und der Forint ist in eine Inflationsspirale geraten, die mittlerweile an der 10%-Marke kratzt - keine guten Aussichten also für das Verschwinden von Zuständen wie in Jozsefvaros. Im Gegenteil: Teil des angrenzenden siebten Bezirks Erzsebetvaros sehen mittlerweile genauso aus (Was noch vor einigen Jahren nicht der Fall gewesen zu sein scheint).
Zufällig in dieses Viertel geraten zu sein war sicher ein wichtiges Bildungserlebnis - es hat meinen Blick auf den Wohlstand Europas sehr relativiert und mir klargemacht, dass man nicht weit gehen muss, um wirkliches Elend zu sehen, im Vergleich zu dem Österreich in sozialer Hinsicht im Grunde nur Luxusprobleme hat.
Nun ist Jozsefvaros - zusammen mit Teilen von Erzsebetvaros - allerdings natürlich ein sehr extremer Bezirk und nicht repräsentativ für die gesamte Stadt Budapest, die ihren Beinamen "Paris des Ostens" nicht umsonst trägt. Die Gründerzeitboulevards, die phantastische Donaupromenade mit den historistischen Prachtbauten und die mondäne Altstadt von Pest stehen Paris wirklich nicht in viel nach. Es wäre unfair von mir, nach der düsteren Momentaufnahme von Jozsefvaros nicht auch die zahllosen herrlichen Seiten der ungarischen Metropole zu erwähnen: Die wunderschönen Barockkirchen. Die gepflegten Parks und Uferwege. Die Einkaufs- und Restaurantstraßen der Altstadt. Die stimmungsvollen Jugendstilviertel rund um den Ring. Oder aber den enormen kulturellen Reichtum der Museen der Stadt, der ungarischen Nationalgalerie, des Nationalmuseums, des Museums für moderne Kunst und ganz besonders des Szepmuveszeti Muzeum (Museum für bildende Künste). Dass diese Sammlung so vergleichsweise wenig beachtet wird, ist eine Schande - denn es handelt sich dabei zweifellos um eine der hochrangigsten Kunstsammlungen der Welt.
Das Szepmuveszeti Muzeum ist in eine Gemäldegalerie, eine Sammlung griechisch-römischer Antiken und eine Sammlung altägyptischer Kunst gegliedert, dazu kommen regelmäßig Sonderausstellungen (Momentan eine sehr sehenswerte Turner-Schau). Die Eintrittspreise sind sehr fair, für die ständigen Sammlungen habe ich 700 Forint (Etwa 2,50€) bezahlt (Zum Vergleich: Die etwa gleichrangige Sammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien kostet für Studenten 7,50€, für Nichtstudenten gar 10€ Eintritt). Obwohl die Sammlungen im Wesentlichen nicht durch systematische Ankäufe entstanden sind, sondern durch die Aufnahme mehrerer bedeutender Privatsammlungen entstand (Von denen die des Fürstenhauses Esterhazy 1871 die bedeutendste war), bietet das Haus einen erstaunlich geschlossenen Überblick über die europäische Kunstgeschichte, in jeder Epoche finden sich herausragende Vertreter: Die exzellente Sammlung italienischer Renaissancemalerei hat Werke von Giotto, Duccio di Buoninsegna, Fra Angelico, Ghirlandaio, Carlo Crivelli, Raffael, Correggio, Tizian, Tintoretto, Bronzino, Vasari, Bordone, Veronese und vielen anderen zu bieten (Auch einen wohl teilweise eigenhändigen da Vinci), in der Sammlung altdeutscher Malerei gibt es herausragende Gemälde von Dürer, Holbein, Grien, Altdorfer und Strigel. Höhepunkte der flämischen und altniederländischen Sammlung sind Werke von Joos van Cleve, Jan van Eyck, Hieronymus Bosch, Quentin Massys, Hans Memling, Pieter Aertsen, Brueghel ,Rubens und van Dyck. Bei den Franzosen stechen Champaigne, Poussin, Lorrain und Greuze hervor, die riesige Sammlung niederländischer Malerei des 17. Jahrhunderts (Die größte Sammlung dieses Bereiches, die ich kenne) glänzt mit drei Rembrandts. Ein besonderer Anziehungspunkt war für mich die Sammlung spanischer Malerei, die neben Zurbaran, Murillo, Ribera und Goya die größte Sammlung von El Grecos beherbergt, die ich bisher gesehen habe. Seltsamerweise sind die meisten El Grecos erst nach 1945 erworben worden - weiß Gott, woher das völlig verarmte kommunistische Regime in den 50er Jahren die Devisen hatte, im Westen erstklassige Alte Meister einkaufen zu können.
Die meisten kulturellen Einrichtungen liegen in Pest, dem größten der drei Teile, aus denen 1873 die Stadt Budapest zusammengesetzt wurde: Pest, Buda und Obuda. Buda war die eigentliche städtische Keimzelle und am frühesten besiedelt, hier finden sich mit der Burg und der gotischen Matthiaskirche (Für die man übrigens unverschämterweise Eintritt zahlen muss) die ältesten Baudenkmale der Stadt. Dennoch geriet Buda bald ins Hintertreffen gegenüber Pest, denn zum einen verlor Buda durch die lange osmanische Besatzung seine politische Bedeutung, zum anderen wurde es, als im Zuge der Industrialisierung die Einwohnerzahlen rasch stiegen, durch seine hügelige Lage an einem Berghang stark im Wachstum behindert, während das in einer Ebene gelegene Pest sich frei ausdehnen konnte. So ist auch heute noch Pest großstädtisch, laut, schmutzig und aufregend, Buda dagegen ruhiger, vornehmer, sicherer, grüner und beschaulicher. Je nachdem, ob einem gerade eher nach Urbanität und Stadtleben oder nach Ruhe und Natur der Sinn steht, kann man einfach die Donauseite wechseln.
Noch ein Wort zu Essen und Wohnen in Budapest: Verglichen mit Westeuropa sind die Preise in Ungarn ziemlich niedrig, ein Brötchen kostet üblicherweise 15 Forint (Etwa 5 Cent), eine kleine warme Mahlzeit in einem einfachen Restaurant oft nicht mehr als 900 Forint (Etwa 3 Euro), und ein Einzelzimmer in einem einfachen Hotel ist auch in der Innenstadt leicht für rund 25 Euro pro Nacht zu finden. Nach spezifisch vegetarisch/veganen Restaurants habe ich nicht gesucht, aber überall gibt es asiatische Schnellrestaurants mit extrem günstigen Tofu- Reis- und Gemüsegerichten, und in den Supermärkten (Die oft 24 Stunden am Tag geöffnet sind) finden sich genug vegane Lebensmittel, auch Sojamilch, Sojapudding etc. gibt es überall, kurz: Man muss auch als Veganer in Budapest nicht verhungern
Alles in allem eine sehr widersprüchliche Stadt, eine Mischung aus Paris und Slum, aus Kulturzentrum und Kloake, aus Metropolen- und Kleinstadtgefühl und siche einer interessantesten Städte Europas.